Wenn JETZT daheim ist | Daheim im JETZT
Einer meiner sprachlichen Entdeckungen im Japanischen ist „Tadaima“ 只今 (gesprochen: tadá-imá). Täglich verwenden diesen Ausdruck Millionen Japanerinnen und Japaner. „Tadaima!“ rufen sie beim Ankommen in ihrem Zuhause den Daheimgebliebenen zu.
Zum ersten Mal gelernt und gehört habe ich den Ausdruck in einem Japanisch-Anfängerkurs vor ein paar Jahren, denn “Tadaima” gehört zum Set der wichtigsten Redewendungen für Begrüßungen. Die Übersetzung, die ich damals gelernt habe, ist „Hallo, ich bin wieder da, ich bin wieder zuhause!“. Die Antwort derjenigen, die bereits zuhause sind, ist: „Okaerinasai!“ おかえりなさい „Willkommen zurück!“. Soweit so simpel.
Aber so gut wie nichts in Japan, was auf den ersten Blick einfach wirkt, ist simpel. Da ist so gut wie immer Tiefe, mindestens eine zweite Bedeutung, und da ist so gut wie immer eine zunächst verborgene Tür, die sich nur öffnet, wenn wir anklopfen.
So eine Tür ist auch „Tadaima“. Sie öffnet sich bei der wortwörtlichen Übersetzung der Schriftzeichen, mit denen die vier Silben im Japanischen geschrieben werden – tada 只 und ima 今.
Wortwörtlich heißt „tada ima“ 只今 „nur jetzt“.
Das fasziniert mich und inspiriert mich zu ein paar weiterführenden Gedanken.
Diese Idee, dass Heimkommen ein Wieder-Ankommen im JETZT sein kann, gefällt mir sehr. Ich stelle mir eine Welt vor, in der wir uns, wenn wir wieder nachhausekommen, bewusst dafür entscheiden, dem JETZT, dem gegenwärtigen Moment, einen Wert und eine Wichtigkeit zu geben. Ich stelle mir eine Welt vor, in der dort, wo wir zuhause sind, dem JETZT der Menschen, mit denen wir dieses Zuhause teilen, Aufmerksamkeit geschenkt und Raum gegeben wird.
Mir gefällt die Verbindung zwischen Daheim und JETZT. Geht es überhaupt, sich irgendwo zuhause zu fühlen, ohne im Jetzt präsent zu sein? Ist es nicht genau so, dass Daheim ein Ort ist, an dem es leicht fällt, im Hier und JETZT präsent zu sein?
Zuhause kann überall sein. Kurz oder dauerhaft. Zuhause kann dort sein, wo wir geboren wurden, wo wir unseren Hauptwohnsitz haben, es kann aber auch dort sein, wo wir gerade auf Urlaub oder auf Reisen sind.
Zuhause, das ist auch das Gefühl, JETZT nicht lieber wo anders sein zu wollen als ich es tatsächlich bin.
Für dieses, ich nenne es jetzt einmal „Daheim-Gefühl im Nur-Jetzt“, gibt es aber auch einen Ort, den Jeder und Jede von uns bewohnt: unseren Körper. Ich sage nicht, dass wir uns alle zuhause fühlen in unserem Körper. Manchmal kann es sein, dass sich der eigene Körper anfühlt, als wären wir nur zu Gast in einem fremden Haus.
Um gut in uns selbst verbunden zu sein und um gut in unserem Körper anzukommen, dazu brauchen wir das JETZT.
Wir brauchen die Gegenwärtigkeit, damit unser Körper unser Zuhause sein und werden kann.
Denn spüren… das geht nur im JETZT. Alles andere ist Spürerinnerung.
Nur jetzt kann ich hungrig sein, müde oder kraftvoll. Nur jetzt spüre ich, wie mich etwas zu Tränen rührt und nur jetzt kann ich schallend lachen. Nur jetzt kann ich herzhaft gähnen. Nur jetzt mache ich diesen einen tiefen Atemzug.
Tadaima. Nur jetzt komme ich wirklich zuhause an im Körper.
Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn wir immer wieder ein leises „Tadaima“ nach innen in unseren Körper rufen – „Hallo, ich bin wieder zuhause“, und aus uns die Antwort „Willkommen zurück!“ kommt…
Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn wir uns tief atmend selbst sagen „Tadaima“, „Nur Jetzt“, und dabei immer wieder daheim ankommen in unserem Körper, in unserem Sein. Und wie wäre es, wenn wir dann willkommen heißen, was gerade jetzt in unserem inneren Zuhause los ist, ohne zu urteilen und auch, ohne gleich etwas reparieren zu wollen?
Denn zuhause ist auch dort, wo es auch mal chaotisch sein darf, wo nicht immer alles einen fixen Platz hat. Vielleicht ist der beste Platz zuhause ein alter grüner Lederfauteuil mit abgewetzten Kanten und durchgesessener Sitzfläche, den wir um keinen Preis hergeben oder restaurieren lassen würden. Wir fühlen uns in ihm wohl, weil er uns schon lang begleitet und weil wir in ihm immer willkommen sind.
Zuhause muss nicht immer harmonisch sein. Nicht immer ist alles gut. Und manchmal sind Dinge plötzlich am falschen Platz, obwohl sie seit Jahren immer am selben Platz stehen. Vielleicht ist es trotzdem gut so, jetzt. Vielleicht öffnet sich aber auch jetzt eine Tür, um etwas zu verändern.
Vielleicht ist zuhause einfach dort, wo wir JA sagen zum Leben. Genau JETZT.